Iran nach Khamenei: Die Stunde der Revolutionsgarden und das Rennen um die Bombe

Ein unmittelbarer Krieg von außen ist unwahrscheinlich – doch die IRGC festigt ihre Macht und treibt das Atomprogramm voran.

Mit dem nahenden Ende Khameneis steht die Islamische Republik nicht vor einem Übergang, sondern vor gezielter Machtverdichtung. Khamenei ist religiös, politisch und symbolisch unersetzbar. Sein Wegfall hinterlässt ein Vakuum, das die Revolutionsgarden füllen: bewaffnet, ideologisch radikalisiert und bereit, den Gottesstaat mit Gewalt und nuklearer Drohkulisse zu sichern. Das Regime strebt nach Eigenstabilität – durch absolute Kontrolle über alle Machtbereiche und die beschleunigte Aufrüstung seines Atomprogramms.

Auf der internationalen Bühne zeigt sich diese Strategie deutlich: Mit der Verabschiedung der von den E3 und den USA vorgelegten Resolution der Atomenergie-Organisation am 20. November 2025 in Wien wurde die Islamische Republik aufgefordert, unverzüglich angereichertes Uran zu liefern. Khamenei lehnt Lieferung und direkte Verhandlungen mit den USA entschieden ab. Das Regime verfolgt weiterhin den Bau einer Atombombe unter strenger Aufsicht und militärischer Planung der Revolutionsgarden. Sollte Khamenei seinen Kurs fortsetzen, wird die Nuklearfrage dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt – doch angesichts der Beschwichtigungspolitik Europas, der Verhandlungsbemühungen Trumps und der Kooperationen Chinas und Russlands mit Teheran ist ein militärisches Eingreifen der internationalen Gemeinschaft gegen die Mullahs kaum zu erwarten.

Proteste und historische Kontinuität

Die Proteste vom November 2019 – mehr als 1.500 Ermordete, hunderte Hinrichtungen, Tausende Verhaftungen – markieren ein kollektives Trauma der iranischen Gesellschaft und reihten sich ein in die Aufstände von 1978, 1980, 1999, 2009, 2017, 2018 und 2022. Jede Bewegung hätte das Regime erschüttern oder stürzen können, doch der Westen ließ die Bevölkerung allein und sicherte dem Regime indirekt sein Überleben. Diese internationale Schwäche erlaubte der Islamischen Republik, heimlich Raketen- und Atomprogramme auszubauen und gleichzeitig Hamas, Hisbollah, Hashd al-Shaabi und die Houthi über Jahre zu finanzieren. Ohne diese Rückendeckung wären der 7. Oktober 2023, die darauf folgende regionale Eskalation und die orchestrierten „Free-Gaza“-Aufmärsche im Westen kaum denkbar gewesen.

Innere Krise: Repression, Umwelt und Kontrolle

Selten war die Islamische Republik strategisch so entblößt. US-Angriffe auf Atomanlagen, der reaktivierte UN-Snapback und präzise israelische Schläge gegen Stellvertreter haben das System getroffen, doch es bleibt unverändert. Seit 47 Jahren folgt das Regime demselben Muster: Krise erzeugen, Angst säen, Menschenrechte brechen, Geiseln nehmen, internationale Verantwortung verweigern.

Allein 2025 wurden mindestens 1.550 Menschen hingerichtet, 170 davon im November. Während Millionen unter Armut, Wassermangel und medizinischer Not leiden, fließen Ressourcen weiter in Repression, Geheimdienste und Atomraketen. Scheinreformen – angebliche Lockerungen der Zwangsverschleierung oder staatlich zugelassene Tanzszenen – verschleiern die Realität: Sittenpolizei und IRGC überwachen Frauen und kriminalisieren Aktivismus als „antirevolutionär“ oder „zionistisch“.

Gerüchte über Putschversuche innerhalb der Revolutionsgarde, taktische Öffnungssignale und die angebliche Rückkehr monarchistischer Figuren spalten die Exilopposition und schwächen die Jin-Jiyan-Azadi-Bewegung zusätzlich. In Kurdistan, Belutschistan und Khuzestan herrscht faktische Militärbesatzung. Ökologische Katastrophen – Wasser- und Energiekrise, Giftluft, austrocknende Seen, Desertifikation – verschärfen die gesellschaftliche Verelendung. Das Regime nutzt diese Not gezielt: Armut und Umweltzerstörung werden zu Werkzeugen politischer Kontrolle.

Nachfolge und die Macht der Revolutionsgarden

Mit Khameneis Gesundheitsverfall rückt die Nachfolgefrage ins Zentrum. Die religiöse Legitimation ist erschöpft; kein Kleriker kann seine Autorität ersetzen. Das Machtvakuum füllt die Revolutionsgarde. Formal mag ein Führungsrat oder ein neuer Oberster Ayatollah präsentiert werden – real liegt die Macht längst bei der IRGC, die Außenpolitik, Wirtschaft, Geheimdienste und Militär kontrolliert. Die Islamische Republik wird so zu einem System aus religiöser Fassade, militarisierter Ökonomie und Sicherheitsapparat, getragen von klerikalfaschistischer Ideologie, die auf Abschreckung, Totalüberwachung und Drohungen gegen Israel setzt.

Täuschung, kontrollierte Eskalation und Stellvertreterpolitik

Das Regime setzt auf begrenzte Stellvertreterangriffe, Sabotage und asymmetrische Gewalt, im Kalkül, dass die Gegenseite zurückhaltend bleibt, solange kein eindeutiger Atomwaffendurchbruch nachweisbar ist. Nach außen propagiert es Frieden und Dialogbereitschaft, im Inneren mordet es und beschleunigt die militärische Aufrüstung.

Seit Anfang 2025 flossen laut Berichten mindestens eine Milliarde US-Dollar an die Hisbollah, während Hamas und Hisbollah weiter aufgerüstet werden. Khameneis Bedingungen für Verhandlungen – Ende der US-Unterstützung für Israel, Abzug aller US-Truppen in der Region, völlige Nichteinmischung in iranischen Angelegenheiten – sind bewusst unerfüllbar.

Außenminister Araqchi diffamiert jede US-Diplomatie als „Verrat“. Hinter diplomatischen Nebelwänden modernisiert das Regime Drohnen und treibt das Atomraketenprogramm voran – nicht zur Abschreckung, sondern zur Erpressung und Beherrschung der gesamten Region. Eine IRGC-Diktatur mit Atomwaffen wäre die gefährlichste Eskalation für Iran, Israel und den Nahen Osten.

Atomprogramm und internationale Kontrolle

Die Nuklearfrage bleibt der strategische Kern des Systems. Israel meldet über 400 Kilogramm nahezu waffenfähigen Urans, die an unbekannte Orte verbracht wurden. Gleichzeitig behauptet Donald Trump, das iranische Atomprogramm sei „zerstört“. Die IAEA bleibt ausgesperrt, besonders bei beschädigten Anlagen.

Die IAEA-Resolution vom 20. November 2025 verpflichtete das Regime, beschädigte Standorte offenzulegen und genaue Angaben über angereichertes Uran sowie laufende Nuklearaktivitäten zu liefern. Die Weigerung Teherans verdeutlichte erneut die Grenzen internationaler Einflussnahme. Kurz darauf erklärte Araqchi die Kairo-Vereinbarung mit der IAEA im September 2025 für „ungültig“ – ein offener Schritt hin zu einer verdeckten atomaren Erpressungsordnung unter direkter IRGC-Führung.

Internationale Dynamik und westliche Beschwichtigung

Russland, China und mehrere arabische Staaten stabilisieren das Regime wirtschaftlich, militärisch und diplomatisch, erleichtern die Umgehung von Sanktionen und ermöglichen den Ausbau seiner Programme trotz innerer Schwäche. Resolutionen bleiben wirkungslos, solange keine entschlossene politische Linie verfolgt wird.

Falschmeldungen über angebliche US- oder israelische Angriffe und interne Machtverschiebungen dienen der Demobilisierung der Bevölkerung. Direktkrieg bleibt unwahrscheinlich, solange ein atomarer Durchbruch nicht nachweisbar ist. Der Westen strebt keinen Regimewechsel an, die Exilopposition ist zersplittert, und die iranische Gesellschaft ist durch Armut, Repression und Angst massiv geschwächt.

Jin–Jiyan–Azadi: Gesellschaftlicher Widerstand

Die tatsächliche Alternative kommt aus der iranischen Gesellschaft selbst. Die Bewegung Frau, Leben, Freiheit zeigt, dass Millionen bereit sind, Widerstand zu leisten – in Städten, Provinzen, Universitäten, Fabriken, Frauenrechtsinitiativen, Umweltgruppen und selbst in Gefängnissen. Ohne internationale Unterstützung dieser Zivilgesellschaft, ohne die weltweite Terrorlistung der Revolutionsgarde und die Austrocknung ihrer ökonomischen Netzwerke droht ein nuklear abgesicherter islamistisch-antisemitischer Militärfaschismus.

Ein solches System würde einen unkontrollierbaren atomaren Rüstungswettlauf auslösen – mit Folgen weit über den Nahen Osten hinaus.

Fazit: Entscheidung für die iranische Gesellschaft

Die entscheidende Frage lautet: Wird die Welt der iranischen Bevölkerung endlich vertrauen – und zwar rechtzeitig? Kann die Gesellschaft sich selbst befreien, bevor ein gewalttätiges, nuklear gestütztes System endgültig fest etabliert ist? Die Zukunft Irans liegt allein in den Händen der Iranerinnen und Iraner. Nicht nur die Exilopposition, auch die internationale Gemeinschaft darf die Jin Jiyan Azadi-Bewegung im Iran unterstützen, darf sie aber niemals durch eine undemokratische Fake-Opposition ersetzen.

Kazem Moussavi

Quellen